|  | Flora bleibt unverträglich!Positionspapier der Roten Flora zum Vertragsangebot
   0. Flora - was ist das?
 Die Rote Flora ist seit 11 Jahren ein selbstverwaltetes politisch-kulturelles 
              Zentrum. Sie ist aus der Bewegung gegen Umstrukturierung Ende der 
              80er Jahre entstanden, als das Großprojekt "Phantom der 
              Oper" im Schanzen-viertel verhindert wurde. Damit stand die 
              Flora für den Versuch, Gegenkonzepte zur kommer-ziellen Verwertung 
              öffentlichen/kulturellen Raumes praktisch umzusetzen.
 Ziel war und ist, den Einfluss von städtischer Politik und 
              ökonomischen "Sachzwängen" so weit wie möglich 
              zurückzudrängen, damit eigene Konzepte der Nutzung und 
              Bestimmung dieses Raumes entwickelt werden können: In der Flora 
              werden alle wichtigen Entscheidungen von allen NutzerInnen gemeinsam 
              auf der Vollversammlung im Konsens getroffen - prinzipiell haben 
              alle das gleiche Mitspracherecht, es gibt also keine strukturellen 
              Hierarchien. Damit solche Hierarchien nicht durch die Hintertür 
              kommen, gab und gibt es in der Flora keine bezahlten Stellen - alle 
              Arbeit im Projekt läuft unentgeltlich. Die Flora erhält 
              keine städtischen/staatlichen Gelder für den laufenden 
              Betrieb oder die nötigen Baumaßnahmen, sondern finanziert 
              sich ausschließlich über Spenden und den Gewinn bei Veranstaltungen 
              wie Partys oder Konzerten. Alles, was an Geld über die Finanzierung 
              des Hauses hinaus übrig bleibt, wird an politische Initiativen 
              gespendet. All das hat jetzt über 11 Jahre so funktioniert.
 
 
 
               
                |  |   1. Das VertragsangebotDie Stadt hat im Oktober 2000 über den Altonaer Bezirksamtsleiter 
              Hornauer die Forderung an die Flora erhoben, sich in Verhandlungen 
              zu begeben, und das Projekt mit einem Vertragsabschluß zu 
              legalisieren. Wir haben entschieden, diesen von der Stadt vorgegebenen 
              Verhandlungs-weg nicht zu gehen.
 Unsere Organisationsformen haben sich in der Praxis bewährt 
              und wir haben 11 Jahre lang keine Verträge gebraucht, um unser 
              Projekt am Leben zu halten und es zu legitimieren. Wir brauchen 
              sie auch jetzt nicht.
 Es mag zunächst nicht für jede und jeden ohne weiteres 
              nachvollziehbar zu sein, dass wir ein "Angebot" ausschlagen, 
              mit dem vermeintlich die Chancen zum Erhalt der Flora steigen. Für 
              uns hat sich jedoch in den Diskussionen, die der Entscheidung vorausgingen, 
              herauskristallisiert, dass das "Angebot" tatsächlich 
              als Angriff auf unser Projekt zu verstehen ist. Ein Angriff, weil 
              Verträge einen massiven Eingriff in unsere Organisationsstrukturen 
              und in unsere politische Arbeit bedeuten: Die Flora soll auf diesem 
              Wege befriedet werden. Zugleich handelt es sich um einen Integrationsversuch: 
              Verträge sollen die Flora in den Aufwertungsprozess im Schanzen-viertel 
              und die damit verbundene Ausgrenzung und Vertreibung aller, die 
              nicht mehr ins Bild passen, einbinden.
 Statt uns darauf einzulassen, haben wir uns entschieden, die Ideen, 
              die das Projekt Flora ausmachen - wie Autonomie, Selbst-organi-sation 
              und Emanzipation -, zu verteidigen und klarzustellen, dass die Flora 
              mit Verträgen (zumindest länger-fristig) keine Flora mehr 
              ist. Verträge abzulehnen beinhaltet dabei die Möglichkeit, 
              die öffentliche Auseinandersetzung um das Projekt politisch 
              zu nutzen um Ausgrenzung, Vertreibung, Rassismus anzugreifen. Deshalb 
              ist unser Ziel: Flora bleibt - unverträglich!
  
 
               
                |  |   2. Der Hintergrund1992/93 gab es bereits einmal Verhandlungen zwischen Senat und Flora 
              über einen Nutzungsvertrag, die vom Senat abgebrochen wurden. 
              Seitdem war die Flora über mehrere Jahre innenpolitisch kaum 
              Thema - u.a. wohl auch, weil die Existenz eines autonomen Zentrums, 
              auch als Ort linksradikaler Politik, in dieser Stadt keine ernstzunehmende 
              Bedrohung der öffentlichen Ordnung darstellte. Der für 
              die Stadt ungeklärte Status der Flora wird erst seit etwa zwei 
              Jahren wieder öffentlich-publizistisch als "Problem" 
              behandelt. Dass jetzt die Flora mit Verhandlungen und Verträgen 
              unter Druck gesetzt werden soll - bzw. von Seiten der CDU rechtspopulistisch 
              Räumung und Abriss gefordert wird -, lässt sich nicht 
              nur auf den bevorstehenden Wahlkampf zurückführen. Vielmehr 
              ist diese Situation das Ergebnis neuerer Entwicklungen und der Auseinandersetzungen 
              im und über das Schanzenviertel - zu "innerer Sicherheit" 
              und "subjektivem Sicherheitsempfinden", Drogenpolitik 
              und Vertreibung, Aufwertung des Stadtteils und dessen Umstrukturierung 
              - und der kritischen Rolle, die die Rote Flora darin einnahm.
 
               
                |  |   "Innere Sicherheit" und Vertreibung der DrogenszeneSeit einigen Jahren wurde "innere Sicherheit" in den unterschiedlichsten 
              Facetten zum politischen und publizistischen Dauerthema gemacht. 
              Auch Rot-Grün ist auf Länder- und Bundesebene an erster 
              Stelle dabei. Im Schanzenviertel wurde seit 1996 vor allem durch 
              die verschärfte Vertreibungspraxis gegen die offene Drogenszene 
              versucht, das Thema "innere Sicherheit" zu besetzen und 
              damit auf die lauter werdende Unzufriedenheit von vielen AnwohnerInnen 
              angesichts einer offenen Drogenszene zu reagieren. Im letzten Bürgerschaftswahlkampf 
              1997 wurde der Stadtteil dann zum symbolischen Terrain stilisiert, 
              auf dem seither die Tragfähigkeit rot-grüner Konzepte 
              der Sicherheits- und Sozialpolitik und die Durchsetzung standortorientierter 
              Stadtteilentwicklung ausge-fochten werden. Seit der gleichen Zeit 
              hat sich die Flora wieder mehr in die öffentliche Auseinandersetzung 
              eingemischt. Immer wieder wurde die -Vertreibung der Drogenszene, 
              die rassistischen Polizeikontrollen und die verfehlte Drogenpolitik 
              des Senats inhaltlich und praktisch angegriffen. Als Reaktion auf 
              solche politischen Interventionen wurde die Flora dann auch selbst 
              vermehrt mit den vermeintlichen Problemen des Viertels - Drogen, 
              Dreck und Gesetzesbruch - identifiziert.
 So erklärt sich die Propaganda der letzten Jahre, die Flora 
              sei Ort autonomer Gewalt und die andauernde Rede vom "rechts-freien 
              Raum", die in der Springer-Presse nach den Auseinandersetzungen 
              am 1.Mai ihren vorläufigen wahnhaften Höhepunkt fand.
 
               
                |  |  Die Umstrukturierung des SchanzenviertelsParallel zur Diskussion um die "innere Sicherheit" und 
              die Drogenszene rückte das Schanzenviertel aber auch durch 
              forcierter betriebene Umstrukturierungs- und Aufwertungspläne 
              ins Blickfeld des öffentlichen Interesses. Seit einigen Jahren 
              ist der Stadtteil eine der bundesweit begehrtesten Adressen für 
              Firmen der Neuen-Medien-Branche: einige der europaweit größten 
              Internetagenturen sind hier angesiedelt. Diese Branche schätzt 
              sehr viel mehr als andere Branchen eine bestimmte Lebensqualität 
              in ihrem Umfeld (Kultur, Gastronomie, Urbanität, ... - Aspekte, 
              die auch als weiche Standortfaktoren bezeichnet werden). Im inter-/nationalen 
              Standortwettbewerb setzt das Schanzenviertel dementsprechend auf 
              ein Ausgehangebot für gehobene Einkommensklassen und ein spezifisches 
              Flair.
 Je mehr aber die Neue-Medien-Branche zu einer ökonomischen 
              Größe aufsteigt und sich Löhne und Lebenswelt der 
              dort Arbeitenden verändern, und je mehr sich gleichzeitig eine 
              kaufkräftige Szene im Schanzenviertel ver-festigt, desto mehr 
              reichen die vielen schicken neuen Kneipen und Cafes im Standort-Wettbewerb 
              nicht mehr aus.
 Damit der Boom des Schanzenviertels weitergehen kann, ver-sucht 
              sowohl die von der Stadt dazu eingesetzte STEG als auch die Gewerbetreibenden-Lobby 
              "Standpunkt.Schanze" das Viertel auf Vordermann zu bringen: 
              Breitere Gehwege und eine Piazza sollen ins Schulterblatt, der Müll 
              soll von der Straße. Aber nicht nur der Müll soll aus 
              dem Schulterblatt verschwinden, sondern auch die Drogenhilfeeinrichtung 
              "fixstern". Hier zeigt sich die Kehrseite der Aufwertung: 
              Wer nicht mehr ins Bild eines attraktiven Vergnügungs- und 
              Konsumviertels Schanze passt, muss weg: Vor allem KonsumentInnen 
              illegalisierter Drogen, Obdachlose und Menschen mit schwarzer Hautfarbe, 
              die aufgrund der rassistischen Gleichsetzung schwarz=Dealer pauschal 
              kriminalisiert werden. Langfristig werden aber auch alle, die sich 
              die über-proportional steigenden Mieten nicht mehr leisten 
              können, verdrängt.
 Zur Flora ergibt sich eine gespaltene Haltung: Während der 
              kulturelle Teil der Flora (Partys, Konzerte usw.) zur kulturellen 
              Vielfalt des Ausgeh-Angebots beiträgt und insofern als weicher 
              Standortfaktor die Aufwertung des Stadtteils mit begünstigt, 
              stört im Aufwertungsprozess neben der schmuddeligen Fassade 
              vor allem, dass die Flora die Drogenszene um das Haus herum ausdrücklich 
              duldet.
 
               
                |  |  Integration und AusgrenzungDass die Stadt zunächst nicht auf Räumung, sondern erst 
              mal auf Gespräche setzt, entspricht den politischen Strategien, 
              die Bezirke und Senat im Schanzenviertel verfolgen. Sie zielen darauf 
              ab, neben der fortgesetzten und ständig zugespitzten Vertreibung 
              der marginalisierten Gruppen möglichst viel Akzeptanz und Kooperation 
              bei den anderen Bewoh-nerInnen, Geschäftsleuten und Interessengruppen 
              im Viertel zu gewinnen. (So wurde z.B. von der STEG ein Partizipationsgremium 
              "AG Umge-staltung Schulterblatt" eingerichtet, das AnwohnerInnen 
              die Möglichkeit geben soll, bei der von der Stadt geplanten 
              Umgestaltung des Schulterblatts zu einer schicken Einkaufs- und 
              Konsummeile in Detailfragen wie der Straßenbeleuchtung mitzuwirken.) 
              Während diejenigen, die durch die Politik der Stadt ganz offen 
              ausgegrenzt werden, immer weiter in die Enge getrieben werden und 
              immer weniger Möglichkeiten haben, sich zu wehren, werden die 
              anderen so weit eingebunden, dass sie selbst zum Teil dieser Prozesse 
              werden.
 Die Flora hat in den letzten Jahren versucht, diesen Zusammenhang 
              zu verdeut-lichen und Konsequenzen für die eigene Arbeit daraus 
              zu ziehen. Das bedeutet, sich nicht an den verschiedenen Partizipationsgremien 
              im Schanzenviertel zu beteiligen - denn von gleichberechtigter Teilhabe 
              aller Betroffenen kann dort nicht die Rede sein, wo die Themen und 
              Lösungswege von städtischen und wirtschaftlichen Interessen 
              vorgegeben werden.
 
               
                |  |  3. Autonomie und politische InterventionVor diesem Hintergrund haben wir uns entschieden, keine Verhandlungen 
              mit staatlichen Gremien oder RepräsentantInnen einzugehen. 
              Die Rote Flora wird in diesem Jahrhundert nicht Teil einer Lösung 
              sein, wie sie dem Bezirk und der Stadt vorschwebt.
 Die Flora ist, trotz aller Schwächen, Unzulänglichkeiten 
              und Unannehmlich-keiten, ein seit 11 Jahren erfolgreiches Projekt, 
              in dem versucht wird, ohne Hierarchien und bezahlte Stellen einer 
              herrschaftsfreien Gesellschaft näher zu kommen. Verträge 
              würden uns Gestaltungsspielräume in diesem Versuch nehmen.
 Für die Stadt ist der "illegale" Zustand der Roten 
              Flora offenbar ein Problem. Für uns jedoch nicht. Der vertragslose 
              Zustand ermöglicht uns politische Interventionen, die schwerer 
              kontrollierbar sind und Chancen und Alternativen zur herrschenden 
              Ordnung darstellen. Als besetzter Raum ist die Flora ist eine praktische 
              Infragestellung der Eigentumsverhältnisse und ein Experimentierfeld 
              für vieles von dem, was sonst aufgrund von sog. "Sachzwängen" 
              "leider einfach nicht machbar" oder "utopisch" 
              ist. Sie ist Ausdruck unserer nicht nachlassenden Sehnsüchte 
              nach Veränderung in einer Welt die tagtäglich staatlichen 
              und gesellschaftlichen Rassismus, Sexismus, sich verschärfende 
              Ausgrenzung von Marginalisierten, steigende Armut und Obdachlosigkeit 
              u.v.a.m. hervorbringt.
 Der Weg der Flora wird von uns bestimmt, nicht von der Stadt. Es 
              gibt für uns keinerlei Veranlassung, Verträge über 
              die Nutzung der Roten Flora abzuschließen, denn wir verbinden 
              damit nicht nur ein Gebäude, sondern eine politische Idee. 
              Und die ist nicht verhandelbar.
 Unser Ziel ist es jetzt, die Autonomie des Projekts Rote Flora zu 
              wahren und den Gedanken der Emanzipation, der sich daran knüpft, 
              zu vermitteln. Emanzi-pation bedeutet für uns immer noch den 
              Versuch, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern, 
              solidarisch und subversiv zu sein.
 Die Offerte der Stadt ist ein Versuch, den öffentlichen Raum 
              auch hier nach herrschenden Interessen zu strukturieren. Durch ihren 
              Status stellt die Flora einen symbolischen aber auch ganz konkreten 
              Bruch der öffentlichen Ordnung dar und kratzt an der Definitionsmacht 
              darüber, für wen sogenannter öffentlicher Raum in 
              welcher Weise nutzbar ist.
 Die Flora ist sowohl ein Störfaktor bei der reibungslosen Inszenierung 
              der "inneren Sicherheit", als auch bei der Umstrukturierung 
              des Schanzenviertels zu einem schicken Ausgeh- und Konsumviertel. 
              Beides - sowohl die Inszenierung von "innerer Sicherheit" 
              als auch der Aufwertungs-prozess - bedeuten Ausgrenzung und Vertreibung 
              von allen, die nach herrschenden Maßstäben nicht mehr 
              ins Bild passen. Für die Flora als politisches Projekt ist 
              es deshalb unumgänglich, gegen diese Entwicklungen inhaltlich 
              und praktisch Stellung zu beziehen.
 Deshalb setzen wir mit der Ablehnung von Verträgen und Verhandlungen 
              ein deutliches politisches Signal und lassen uns nicht zum Bestandteil 
              des Zusammenspiels von Integration/Partizipation auf der einen und 
              Verdrängung/Repression auf der anderen Seite machen. Es geht 
              uns auch weiterhin um die politische Intervention gegen eine Politik, 
              die "sozialen Frieden" gewaltsam erzwingen will. Die anstehenden 
              Konflikte um die Zukunft der Roten Flora werden deshalb für 
              uns der Ort sein, an dem die jahrelange Auseinandersetzung um Repression, 
              Vertreibung und Umstruk-turierung im Stadtteil aktuell zugespitzt 
              werden kann.
 Rote FloraFebruar 2001
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