94

Anschlagsserie gegen mehrere Banken und Geschäftshäuser
Militante Hausbesetzer machten ihre Drohung wahr: Brandsätze und Steine (Spandauer Volksblatt, 28.12.80)

Eine Anschlagsserie mit Steinwürfen und Brandsätzen, bei denen in Banken, Geschäftshäusern, einem Postamt und einer Kirche in insgesamt 18 Fällen Sachschaden entstand, hat in den Weihnachtsfeiertagen die Berliner Polizei in Atem gehalten. In der Nacht zum ersten Weihnachtsfeiertag wurden - verteilt über das Stadtgebiet - in 13 Gebäuden Scheiben mit Pflastersteinen eingeworfen und in einigen Fällen auch Brandsätze gezündet, die jedoch keinen größeren Schaden anrichteten. Menschen waren nicht in Gefahr.

Die Serie der Anschläge in verschiedenen Bezirken begann Donnerstag, kurz nach Mitternacht. Auch Berlins größter Tannenbaum Ernst-Reuter-Platz wurde angezündet. Der etwa 20 Meter hohe Baum brannte bis in eine Höhe von fünf Metern, bevor das Feuer gelöscht werden konnte. In den meisten Fällen wurde die Polizei von Anwohnern, die durch den Krach der zerspringenden Fensterscheiben aus ihrem Schlaf gerissen wurden, alarmiert. In zwei Fällen schrieben die unbekannten Täter die Forderung an Wände: "Laßt die Hausbesetzer frei". Schon zuvor war in Flugblättern angekündigt worden, daß in Berlin über Weihnachten "nicht nur Tannenbäume brennen" würden. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen aufgenommen.

In der Nacht zum zweiten Weihnachtsfeiertag wurden Scheiben einer Bankfiliale in Neukölln sowie von drei leerstehenden Häusern beschädigt. Freitag vormittag flog ein Brandsatz in ein Postamt im Bezirk Wilmersdorf. Die Feuerwehr konnte das Feuer rasch löschen. Mehrere Räume wurden stark verrußt. Am Tatort wurde ein Flugblatt mit der Aufschrift "Die Wahrheit über den Berliner Terror" gefunden. Beim Staatsschutz der Berliner Polizei gibt es, wie ein leitender Beamter dpa erklärte, keinen Zweifel mehr, "daß die Täter aus dem Kreis der Hausbesetzer-Szene im Weitesten Sinne" stammen. Es sei eine kleine Gruppe, deren Aktivitäten an Weihnachten nicht völlig überraschend gekommen seien. Die Aktionen dürften damit im Zusammenhang mit der nach wie vor bestehenden Inhaftierung von fünf Personen stehen, die im Zuge gewaltsamer Auseinandersetzungen nach Hausbesetzungen festgenommen wurden.

Nach Angaben eines Sprechers des "Betroffenenrates" des Sanierungsgebietes Kreuzberg, zu dem auch der "Besetzerrat" gehört, könne über den Täterkreis noch nichts gesagt werden. Es gebe so viele kleine Gruppen, für deren mögliches Handeln der Rat keine Verantwortung übernehmen könne. Er sowie der Besetzerrat strebten eine friedliche Lösung der Probleme an.

Mit den jüngsten Anschlägen setzt sich eine Kette von Gewalttaten fort, die vor knapp zwei Wochen begann, als sich nach einer polizeilichen Räumung in Kreuzberg Demonstranten und Polizei eine der gewalttätigsten Straßenschlachten der letzten Jahre lieferten. Die meist jugendlichen Demonstranten wollen mit ihren Aktionen auf eine ihrer Meinung nach verfehlte Wohnungspolitik des Senats aufmerksam machen. Insbesondere protestieren sie gegen das Leerstehen von Wohnungen. Einige dieser Wohnungen wurden von ihnen in der Zwischenzeit "instandbesetzt". Unterdessen hat der Berliner Bausenator Harry Ristock seine Bereitschaft bekräftigt, mit den Wohnungsbesetzern zu einer Lösung auf der Grundlage von Duldungs- bzw. Nutzungsverträgen zu gelangen.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Eberhard Diepgen hat den Rat der Kreuzberger Hausbesetzer aufgefordert, sich eindeutig von den in den Weihnachtstagen verübten Gewaltakten in Berlin zu distanzieren. Diepgen meinte in einer Erklärung, "entsprechende Ankündigungen von Anschlägen aus Kreisen der Hausbesetzer stellen einen Zusammenhang dar, der im Interesse der gesprächsbereiten Hausbesetzer aufgelöst werden muß".

Diepgen forderte den Senat auf, "mit äußerster Konsequenz dafür Sorge zu tragen, daß in Berlin der Staat als Garant des Rechtsfriedens nicht zum Popanz gemacht wird. Die Versäumnisse in der Wohnungspolitik seien ohnehin schon zu einer Kette des Unfriedens und der Unsicherheit geworden".

Unklar ist bislang, ob der Brand im U-Bahnhof Dahlem-Dorf in der Nacht zu gestern ebenfalls auf das Konto von Tätern aus dem Hausbesetzer-Spektrum geht. Gegen 2.30 Uhr war das 500 Quadratmeter große Ried-Dach des Bahnhofs in Brand geraten und völlig vernichtet worden. Bis zum frühen Vormittag mußte der U-Bahn-Verkehr von und nach Krumme Lanke unterbrochen werden. Menschen kamen bei dem Feuer, daß die Feuerwehr erst nach Stunden unter Kontrolle bringen konnte, nicht zu Schaden.

Bei der Suche nach der Brandursache tappten Feuerwehr und Kriminalpolizei gestern noch im dunkeln. Nahe liege je doch, so ein Sprecher der Feuerwehr, Brandstiftung. Der Bahnhof ist vorläufig gesperrt. Züge halten in Dahlem-Dorf derzeit nicht.