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"Mordversuch" an einem Pazifisten

Eigentlich hatte alles ganz harmlos begonnen. Ich hatte die Berichte in der taz über die militanten Demos in Kreuzberg und am Kudamm gelesen. Mir war klar: eine erneute Demo würde bei den aufgeputschten Gemütern beiderseits nur ein großes Schlachtefest ergeben. Mich als Journalist interessierte, wer so ein Schlachtfest wie inszeniert.

Die Stimmung in der U-Bahn um halb Sieben war schon ein Vorgeschmack auf das abendliche 'high life', die Polizei-Armada rund um die Gedächtniskirche die andere Seite des gleichen Arsches. Ich schloß mich einer Polizeikolonne an, die im halben Stechschritt auf den Breitscheidplatz zumarschierte - auf ca. 15 Passanten, die locker in Gespräche verwickelt waren. "Diese Versammlung ist illegal - lösen sie sich sofort auf!" ... Im nächsten Moment sprengten die Polizisten diese "Demonstration" auseinander. Ich heftete mich an die Fersen des Einsatzleiters (?), neugierig, aus welchen Hirnen so irrationale Anweisungen entspringen. Er wollte ständig einen Befehl von "jetzt sammeln und zusammenbleiben" oder so ähnlich durchgeben, fühlte sich jedoch durch meine unmittelbare Präsenz gestört. Ich hätte nie geglaubt, einen geschulten Einsatzleiter so schnell aus der Ruhe bringen zu können. Ich bestand lediglich auf meinem Recht der Bewegungsfreiheit, ich wollte noch nicht mal wissen, was er zu melden hatte, ich wollte ganz einfach seine Gesichtszüge beim Einsatzbefehl studieren ... Souveränität, Routine, Haß, Rache, Feigheit, Brutalität? Er wußte sich schließlich nicht mehr anders zu helfen, als mich wegen "neben ihm Stehend" verhaften zu lassen. In der Amtssprache hieß das "Behinderung beim Dienst". Ich schlüpfte in den nahen Polizeiwagen, von dem aus er in Ruhe seine Anweisungen hätte durchgeben können. Mit meiner Frage nach der Nummer des Einsatzleiters wurde ich, wie üblich, vier, fünfmal vertröstet. Nach der Durchsuchung und meiner Verständigung eines Rechtsanwalts gings in die stickig heiße ungelüftete Zelle. Ich erinnerte die Beamten wiederholt an mein Anliegen, die Nummer des Einsatzleiters zu erfahren, was sie mir ebensooft bereitwillig versprachen - und nicht hielten.

Nach zwei Stunden, die ich mir mit lautem Singen - zur Unterhaltung der anderen Inhaftierten - vertrieb, sollte ich auf Intervention meines Anwalts entlassen werden. Ich wünschte vor meiner Freilassung die Identität des Einsatzleiters feststellen zu lassen. Zwei Polizeischläger gaben mir die ihnen gemäß erscheinende Antwort, schleiften mich über den Flur Richtung Ausgang. Dem freundlich-liberalen Chef vom Dienst (?), dem mein Fall, vielleicht auch angesichts meine Tätigkeit als freier Journalist von vornherein unangenehm gewesen war, war bereit, mir mein Anliegen zu erfüllen, bot mir eine Nummer an, wo ich mich erkundigen könne. Doch im Vertrösten auf die nächst höhere Stelle war ich ja nun schon ein gebranntes Kind. Also erinnerte ich ihn an sein versprechen, mir die Nummer des Einsatzleiters und nicht die Nummer von dessen Vorgesetzten zu besorgen. Doch kaum war meinem Mund dieses unverschämte (?) Anliegen entfahren, drückte mir ein Polizist mit Fleischernatur von hinten die Kehle zu. Zunächst wehrte ich mich immer noch nicht. Doch dummerweise hatte ich gerade ausgeatmet und mir wurde in den nächsten zehn Sekunden nur noch heiß und kalt. Ich entschloß mich schließlich zur Selbstverteidigung, versuchte mit letzter Anstrengung, einen Finger der Würgepranke nach hinten zu biegen ... Ein dünner Lufthauch durchströmte meinen Körper, dann wurde ich ohnmächtig. So eine Handlung gegenüber einem Polizisten würde man gemeinhin als Mordversuch bezeichnen. Meine "Freunde und Helfer" müssen mich noch recht brachial den Gang entlang befördert haben, denn ich kam nach einer heftigen schmerzhaften Verdrehung meines Armgelenkes wieder zu mir und hörte gerade noch: "Der spielt tot, holt sofort die Feuerwehr". Ich raffte mich auf und wiederholte mein altes Anliegen. Ah!, er "wehrt" sich immer noch. das gab neuen Auftrieb. Man riß mich an meiner Lederjacke und Latzhose, die dabei dekorative Querrisse davontrugen, ließ mich öfters willentlich auf den Fußboden knallen, bis ich vor einer ca. 20 Meter tiefen Treppe landete. Der eine Beamte fand eine sadistische Lust daran, mich mit Tritten in die Eier langsam, genüßlich Zentimeter um Zentimeter mit dem Kopf voraus über die obersten Stufen gleiten zu lassen.

Ich attestierte ihm Fähigkeiten, wie man sie sonst nur bei der SS gelernt hat. Ich leistete zum zweiten Mal "Widerstand", indem ich mich an einer Stufe festkrallte, um nicht kopfüber die Treppe runterzudonnern. Hinter mir ging die Tür zu. Ich klingelte and der Haustür, um Anzeige zu erstatten. Man ließ mich versehentlich ein, beförderte mich aber gleich wieder nach draußen, wo ich zufällig zwei Freunde traf, die die folgenden Dialoge über die Sprechanlage mitbekamen: "Wenn Sie nicht gleich verschwinden, kriegen Sie eins mit dem Knüppel drüber..." Ich bemerkte nur lapidar, daß das dann noch eine Anzeige mehr ergäbe. Nach mindestens zehnmaligem vergeblichen Einlaßbegehren räumte ich das Feld, auf dem ich auf so sonderliche Weise zum Schlachtvieh gemacht worden war und machte mich auf den Weg zu meinem Anwalt, zu einer Ärztin, die die Würgespuren am Hals feststellte und zu einem Fotografen ... Eine etwas ungewöhnliche Art und Weise, zu einer taz-Reportage zu kommen. Doch was solls, schließlich wird es ein Lachen, das sie beerdigt.

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