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"Wir rannten und rannten. Ich überlegte schon, wie wir uns schützen könnten. Autos auf die Straße schieben? In Seitenstraßen, in Rohbauten, wohin können wir rennen, um vor der Polizei geschützt zu sein? Würden sie nicht alles absuchen? Sie waren unberechenbar. In diesen Minuten war ich nicht mehr ich, da waren nur noch wir. Wie sollte ich mich als Einzelner schützen? Ich weiß nicht, ob diese Einschätzung real ist. Damals war sie das einzige, was ich hatte, und die Nachwirkung ist auch heute noch nicht vorbei. In der Potsdamerstraße ging die Hatz dann noch einmal los, die Polizei hatte freie Bahn. Ein BVG Bus wendete, als er uns kommen sah. Er hätte lieber auf der Straße stehen bleiben sollen. Ich hatte Angst, wenn wir die Yorckstraße gingen, daß dann die Polizei einen Kessel unter den Brücken machen würde.

In der Höhe der Großgörschenstraße kam schließlich die endgültige Zerstreuung. Polizei überall, Leute überall. Leute, die sich suchten, Hektik, Panik. Selbst wenn gar keine Polizei direkt da war, wurde noch gerannt. In einer endlich ruhigen Seitenstraße konnte ich verschnaufen. Noch eine Frau war da. Sie sagte: 'Wie kann so etwas nur passieren?' Nach einer Weile wagten wir uns wieder auf eine größere Straße, die Goebenstraße. Sie würden uns doch nichts tun, wenn wir ganz normal die Straße entlangliefen? Leute standen auf ihren Balkons und fragten, was los sei. Ich sagte, es wäre eine Demonstration an der Gedächtniskirche gewesen. Sie fragten, was die Polizei hier tue. Ich sagte: 'Sie verfolgt uns.' "

"Die Demonstranten rannten weg in Richtung Nollendorfplatz und flohen vor den sie verfolgenden Polizisten. Einzelne Demonstranten wurden von mehreren Polizisten eingekreist und zusammengeschlagen. Dies geschah auf der Kleiststraße in Höhe der Courbierestraße. Auch auf meine Freundin Iiefen drei Polizisten zu und knüppelten auf sie ein. Zusammen mit einem mir unbekannten Mann schob ich mich schützend vor die Schreiende und Weinende, worauf die Polizisten nicht mehr weiter zuschlugen. Wir verhielten uns ruhig, und nach einigem Zögern zogen die drei Polizisten ab. Vom Balkon des Hauses Kleiststraße Ecke Courbierestraße sahen einige Leute den Ablaufen zu, was uns vor weiteren Schlägen bewahrt haben könnte. Etwa 10 m neben uns brach ein Mann anscheinend schwer verletzt zusammen, eine Gruppe von Demonstranten kümmerten sich um den Verletzten. Von diesen Vorfällen geschockt, insbesondere von der völlig unprovozierten Gewalt der Polizisten, verließ ich den Schauplatz der Gewalt."

"Polizeiketten stürmten in voller Straßenbreite hinter den flüchtenden Demonstranten her. Neben mir stolperte ein junger Mann. Noch während er fiel, gab ihm ein Polizist einen Schlag auf den Kopf. Ich blieb stehen und wollte ihm helfen. In diesem Moment erreichte die Masse der Polizisten meinen Standort. Der Mann erhielt einen Tritt in die Nieren, von einem anderen Polizisten wurde er ins Gesicht getreten. Angstvoll lief ich weg. Ein Polizist verfolgte mich und gab mir drei Schläge auf den Kopf und zwei Schläge auf den Rücken."

"Die Polizisten rannten mit geschwungenen Knüppeln hinter uns her. Plötzlich stand ich vor einem Auto und konnte nicht weiter. Das war auf der Kreuzung Kleiststraße Eisenacherstraße. Ich bekam einen Schlag auf den Kopf und wollte in die Eisenacherstraße ausweichen. Der Polizist, der mich geschlagen hatte, rannte weiter hinter mir her, ebenso drei oder vier andere, die mir ebenfalls auf Kopf und Rücken schlugen. Ich kam

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