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leistete erste Hilfe. Es gelang uns nach einiger Zeit, dem Tumult zu entkommen, und ich begleitete die beiden Verletzten in ein Krankenhaus. Der Frau wurde eine '8 cm lange, bogenförmige Platzwunde, klaffend stark blutend' zugefügt, wie der diensthabende Arzt bescheinigte."

"Panik entstand, weil die Bullen stürmten. Ich bin gestolpert, hingefallen. Ein Bulle hielt mich fest und schlug mit dem Knüppel auf meine Schultern. Er krallte sich in meinen Haaren fest. Widerstandslos mitgegangen, konnte mich nicht aufrichten, da der Bulle mich an den Haaren festhielt. Dann stieß er mich in eine Wanne. In der Wanne saßen zwei Männer, einer blutete aus der Nase, der andere hatte eine Kopfplatzwunde. Die beiden Männer wurden sehr brutal durchsucht. Ein. Bulle behauptete, der Kopfverletzte sei wohl auf den Bürgerteig gefallen, und er hätte ja schließlich seinen Spaß gehabt. Der Kopfverletzte wurde erst nach langer Zeit verbunden. Er schrie die ganze Zeit und hatte anscheinend einen Schock."

"Gegen 21.30 Uhr befanden wir uns auf dem Kurfürstendamm, in Höhe der Fasanenstraße. Der Mann wurde nach unseren Beobachtungen hinter den Polizeiketten von drei Polizeibeamten gegriffen. Zwei Beamte schleiften den laut schreienden, von mehreren Schlägen mit dem Schlagstock Getroffenen und sichtbar und hörbar Verletzten ca. 25 m über die Straße. Es war erkennbar, daß er nicht mehr laufen konnte. Während dieses Vorgangs stand der Polizeipressesprecher Herr ... unmittelbar daneben. Er war Zeuge des gesamten Vorfalls. Drei sich ausweisende Journalisten sprachen ihn direkt auf die Behandlung des Mannes an und forderten ihn auf, auf die Beamten einzuwirken. Herr ... grinste und äußerte sich in keiner Weise. Als die Polisten die Journalisten bemerkten, legten sie den Verletzten auf die Straße und fotografierten ihn. Ein Passant, der sich als Mediziner ausgab, versuchte eine Diagnose zu stellen und vermutete einen Mittelhandbruch und schwere Beinverletzungen. Ich fragte die Polizisten, wann ein Krankenwagen eintreffen würde, worauf ich die Antwort bekam: 'Erst, wenn alles ruhig ist.' Der Verletzte lag über eine Viertelstunde auf der Straße, ehe er abtransportiert wurde."

Von der ursprünglichen Strategie der Polizei, die Demonstration auf dem Kudamm im Keim zu ersticken, blieb nicht mehr übrig als eine nächtliche Prügelorgie. Als die Demonstranten nach Hause gehen wollten, wurde offensichtlich, daß eine Strafexpedition gegen Bürger, die ihr Recht auf Demonstrations- und Versammlungsrecht wahrnehmen, durchgeführt werden sollte. Wer erinnert sich nicht an die scheinbar Iängst vergessenen Spiele aus den Kindertagen von Räuber und Gendarm? Aber wer spielt hier noch? Eine wilde Verfolgungsjagd begann.

"Von jetzt an begann eine einzige Hetzjagd über Tauentzienstraße, Kleiststraße, Bülowstraße, nach Süden in die Potsdamer, bis hin zur Großgörschenstraße. Ich glaube, alle hatten Angst. Immer wieder stieß die Polizei vor, an uns heran, anfänglich noch, indem sie alle aus den Autos ausstiegen, und dann wieder an der gleichen Stelle einstiegen, später dann, indem die Wannen gleich mitfuhren. Wir rannten und rannten. Ich kam mir vor wie ein Stadtindianer, nur daß wir eben die Gejagten waren. In dieser Szenerie entstand ein Zusammengehörigkeitsgefühl. In jenen Minuten begann ich in 'wir' zu denken. Wir waren Betroffene, betroffen von einem schrecklichen Unglück. Nie hatten wir etwas davon in der Schule gelernt. Ich könnte mir vorstellen, daß solche Situationen eine Art Terrorismus hervorbringen."

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