ABSCHIEBUNG BLEIBT MORD!
Die Namen Kemal Altun, Kola Bankole, Rachid Sbaai und Altankhou
Dagwasoundel stehen für unzählige weniger bekannte
Flüchtlinge, die aus Angst vor ihrer Abschiebung
in die Verzweiflung getrieben wurden und werden.
Zuwanderung, Arbeitsmigration und Zuflucht in die Bundesrepublik
Deutschland gibt es seit ihrem Bestehen. Als wiedererstarkende
kapitalistische Wirtschaft bildete die BRD nach dem 2. Weltkrieg ein
Zielder weltweiten Migration in Richtung Europa, das billige
Arbeitskräfte benötigte. Im Rahmen des
sog.»Wirtschaftswunders« wurden bis zum Anwerbestopp 1973
aufgrund der ersten Wirtschaftskrise nachdem 2. Weltkrieg, der ersten
Ölkrise mit dem Ölboykott der OPEC-Staaten, mehr als 2,6
Millionen GastarbeiterInnenangeworben, die jedoch ? anders als von den
PolitikerInnen geplant ? im Land blieben und ihre Familien nach holten.
Das Asylrecht spielte bis zu dieser Zeit keine Rolle, so dass die
Innenminister-konferenz noch am 26.8.1966 beschließen konnte,
Flüchtlingen unabhängig von ihren asylrelevanten Gründen
einen gesicherten Aufenthalt zu gewähren.Dies änderte sich
jedoch in
den 70er Jahren mit einer zunehmend bürgerkriegs- und
verfolgungsbedingten Flucht in großem Ausmaß nach Europa
und in die BRD.waren vor allem die Militärputsche in Chile und der
Türkei, der Umsturz im Libanon, die Besetzung und der Krieg in
Afghanistan, der Bürgerkrieg in Sri Lanka, der Sturz des
Schah-Regimes und die folgende Chomeini-Diktatur im Iran. 1966
wurden 4379, 1979 bereits großen Schwankungen unterlagen (1983:
19.737, 1986: 99.650).
Mit dem Zusammenbruch des realsozialistischen Blockes kam es zu einer
vor allem durch die
westlichen Länder forcierten Reethnisierung der dortigen Staaten.
Die Bundesrepublik nahm derzeit über eine halbe Millionen Menschen
aus dem ehemaligen Jugoslawien auf, etwa2/3 aller AsylbewerberInnen,
die zwischen 1989 und 1994 in der BRD einen Antrag gestellt haben,
kamen aus den ehemaligen real-sozialistischen
Ländern Süd- und Osteuropas. Das massive Ansteigen der
AsylbewerberInnenzahlen
(auf 438.191 im Jahre 1992) ist in erster Linie den (geschürten)
ethnischen Kriegen und dem Zerfallserscheinungen nach dem Zusammenbruch
1989 geschuldet, doch hat die Höhe der
AsylbewerberInnenzahlen noch einem anderen
Grund.
-Am 30. August vor 20 Jahren: Der Tod von Kemal Altun
Am 30.8.1983 starb Kemal Altun, 23-jähriger Asylbewerber aus der
Türkei, durch einen Sprung aus dem Fenster des
Verwaltungsgerichtsin Westberlin, wo eine Klage des Bundesbeauftragten
gegen seine Anerkennung als politischer Flüchtling verhandelt
werden
sollte. Ein Jahr zuvor hatte sich das BKA bei der türkischen
Regierung erkundigt, ob die Auslieferung gewünscht sei. Der junge
Türke gehörte zur demokratischen Opposition. Die
türkische Regierung ließ sich von der Bundesrepublik nicht
zweimal bitten und forderte
seine Überstellung in die Türkei.Das in Gang gesetzte
Auslieferungsverfahren führte in der Öffentlichkeit zu einer
Welle der Solidarität mit Kemal Altun. Während des
politischen Tauziehens um seine Person saß der junge Asylbewerber
in Auslieferungshaft, 13 Monate lang, 23 Stunden täglichallein in
der Zelle. Dem Druck und der Angst vor seiner Abschie-bung hielt Altun
am Ende nicht mehr stand.
In erster Linie kamen Bürgerkriegsflüchtlinge in die BRD,
denen eigentlich ein vom Asylverfahren unabhängiger Aufenthalt
nach dem Ausländergesetz (AuslG, §32) zu gewähren
gewesen wäre. Dieser wurde den Flüchtlingen jedoch in der
Regel verweigert und sie wurden von der Ausländeradministration
geradezu »ins Asyl gedrängt«. Die
AsylbewerberInnenzahlen wurden so von der Politik bewusst manipuliert
und in die Höhe getrieben, um sie innenpolitisch zur Anheizung
ausländerfeindlicher Stimmungen und Pogrome zu
instrumentalisieren. ? Fast jede Woche brannte in dieser Zeit ein Heim
und
Bilder ausländerfeindlicher Ausschreitungen gingen im die Welt.
Innenpolitisch legitimierte dies die Zustimmung der SPD zum
»Asylkompromiss«, also zur Verabschiedung des
Asylbewerberleistungsgesetz, der Abschaffung des Grundrechts aufAsyl am
1.7.1993 und der damit verbundenen Abschottung der
EU-Außengrenzen (Schengener Abkommen).
Durch die Instrumentalisierung des gesellschaftlichen Rassismus wurden
so ökonomische
Interessen durchgesetzt, denn die gesetzlichen Verschärfungen
verringerten natürlich nicht die Flüchtlingszahlen. Sie
drängten immer mehr Menschen in die Illegalität, so dass den
Bedürfnissen der Ökonomie nach flexiblen, ausbeutbaren
ArbeiterInnen ohne
Rechte entsprochen wurde. Diese Politik der Regulation und Akzeptanz
von ArbeiterInnen ohne Papiere setzt sich heute auf der EU Ebene fort.
Trotz der »hohen« Asylantragszahlen ist die Auslegung
politischer Verfolgung in der BRD besonders restriktiv und die
Anerkennungsquoten gehören europaweit traditionell zu den
niedrigsten. Lag die Aner-kennungsquote Mitte der 80er bei
durchschnittlich 10 - 15 %, so ist seit dem ein kontinuierlicher
Rückgang zu verzeichnen, der 2002 mit 1,83 % (2379 Menschen) nach
Art. 16a des Grundgesetzes einen historischen Tiefstand erreichte.
Zusätzlich bekamen noch 3,17 % (4.130 Menschen) das sog.
»kleine Asyl«, welches jedoch
keinen unbefristeten Aufenthalt beinhaltet. Trotzdem dürfen
rechtliche nicht alle Menschen,
die nicht als (politische) Flüchtlinge anerkannt werden, wieder
abgeschoben werden.
Dies ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen der Anerkennung
internationaler Konventionen wie der »Genfer
Flüchtlingskonvention« oder der »Europäischen
Menschenrechtskonven-tion« und der Nichtanerkennung
geschlechtsspezifischer oder nichtstaatlicher Verfolgung durch
marodie-rende »Warlords« im Asylrecht.
30. August 1994: Der Tod von Kola Bankole durch die brutale
Abschiebepraxis
Der Nigerianer Kola Bankole erstickte am 30.8.1994 in der
Lufthansa-Maschine, mit der er
abgeschoben werden sollte, an einem Knebel, der ihm vom
Bundesgrenzschutz in den Mund
gedrückt wurde. Zuvor war er mit Klebeband und Klettbändern
an Händen und Füßen gefesselt, mit Skisocken und einem
Rollladengurt geknebelt und mit gespritzten Psychopharmaka "ruhig
gestellt" worden. Gegen die vier BGS-Beamten fand kein Prozess statt,
das Verfahren wurde eingestellt.
Seit Jahren wird die militärisch hochgerüstete
EU-Außengrenze im Rahmen der Osterweite-rung in Richtung der
ärmeren osteuropäischen Transformationsländer
verschoben, es werden
vorverlagerte Migrationskorridore zum Abfangen und Regulieren der
Migrationsströme in-stalliert, an südlichen Mittelmeergrenzen
machen hochgerüstete Einheiten Jagd auf die an-kommenden
Flüchtlingsboote. Ziel der Barrieren ist nicht die komplette
Abschottung der
EU, denn billige illegalisierte ArbeiterInnen werden in den Bereichen
Landwirtschaft, Bau-gewerbe und bestimmten Dienstleistungsbereichen ?
Haushalt, Putzgewerbe, Prostitution ?
weiter dringend benötigt. Es findet nur eine stärkere
Regulation und Selektion der ankom-menden Menschen statt, der Preis
einer Überwindung der Grenzbarrieren wird immer höher,
draußen bleiben die Armen und politisch Verfolgten. So fordert
das europäische Grenz-regime jedes Jahr mehrere 10.000 Tote an
seinen
Außengrenzen. Die BRD schob zwischen 1990 und 1998 nach Angaben
der Bundesregierung rund 290.000 AusländerInnen ab und jedes Jahr
werden es mehr, allein im Jahr 2001 waren es 43.950 Ab- bzw.
Rückschiebungen. Zur Zeit diskutieren die EU-Innenminister
die Abschiebung von über 100.000 afghanischen Flüchtlingen da
das Land ja nun befriedet
sei. Eine Vorreiterrolle übernahm hier wieder einmal die BRD, am
21.6.2003 wurde der erste Flüchtling seit 23 Jahren auf Anordnung
des Rechtspopulisten Schill nach Afghanistan abgeschoben. Wie so
häufig in der Geschichte der BRD wird Rassismus innenpolitisch
instrumentalisiert um auf der einen Seite rassistischen Strukturen der
Gesellschaft für die eigene Politik einzusetzen und auf der
anderen Seite ökonomischen
Interessen umzusetzen. Denn die Ausländergesetzgebung bietet den
institutionellen Rahmen zur Segregation billiger Arbeitskräfte. So
wird der hiesige Arbeitsmarkt »ethnisch unterschichtet«,
die dreckigen und schweren Arbeiten werden vermehrt von »Sans
Papiers« verrichtet, die Profiteure sind in erster Linie die
deutsche Wirtschaft und diejenigen, die noch einen regulären Job
besitzen und durch die Ethnisierung die Chance auf einen besseren
Arbeitsplatz bekommen. In Zeiten allgemeiner Umstrukturierung und
Sozialabbaus fungiert Rassismus dann als ideologische Kittfunktion und
Begründungsmuster, die Schuld an den Kürzungen bekommen die
MigrantInnen in die Schuhe geschoben
und verdecken deren doppelte Benachteiligung.
Rachid Sbaai stirbt in der Arrestzelle des Bürener
Abschiebeknastes am 30. August 1999
Rachid Sbaai wurde am 30.8.1999 in die Arrestzelle der JVA Büren,
des größten deutschen Abschiebeknasts, gebracht, wo er gegen
11 Uhr die Matratze seiner Einzelzelle in Brand gesetzt haben soll. Ein
Mitgefangener, der sich eine Arrestzelle weiter befand,
hörte, wie Sbaai auf Arabisch schrie, dass er gerettet werden
müsse, weil es brennen würde, und drückte sofort den
Alarmknopf, der sich in jeder Zelle befindet. Allerdings musste er 15
Minuten lang den Todeskampf von Rachid Sbaai mit anhören, bis die
Schreie verstummten. Danach kamen mehrere Beamte und Mitarbeiter der
Firma Kötter. Sie zogen Sbaai aus der Zelle und versuchten, ihn
wieder zu beleben. Als der Anstaltsarzt eintraf, konnte dieser nur noch
den Tod durch Rauchvergiftung feststellen. Die Anstalt bestreitet bis
heute, dass auch Sbaai den Alarmknopf ausgelöst hat, obwohl der
Alarm registriert wurde. Der Mitgefangene wurde sofort in ein anderes
Hafthaus verlegt, der Polizei wurde die Existenz dieses Zeugen
nicht mitgeteilt. Das Verfahren ist in der Zwischenzeit eingestellt
Eine zentrale Stelle spielen hier die »neu« errichteten
»Ausreisezentren«, da diese Lager in erster Linie Menschen
in die »Illegalität« treiben und dies aus offizieller
Sicht als Er-folg,
als »unkontrollierte Ausreise« verbucht wird. Die
geschilderten Todesfälle im Zusammenhang mit Abschiebungen und
Abschiebehaft sind Beispiele dafür, zu welchen verzweifelten
Schritten die Opfer der Abschiebemaschinerie getrieben werden. Allein
in Berlin sind seit 1993 bereits 8 Todesfälle in Zusammenhang mit
der
Furcht vor Abschiebung oder Abschiebehaft dokumentiert. 30. August
2000: Der Tod Altankhou Dagwasoundels bei der Flucht aus der
Abschiebehaft In der Nacht zum 30.8.2000 stürzte der 28-
jährige Mongole Altankou Dagwasoundel beim Versuch, aus der
Abschiebehaft in
Berlin-Köpenick zu fliehen, in den Tod. Dagwasoundel befand sich
seit etwa vier
Wochen im Berliner Abschiebeknast, als er am Abend des 29. August ins
Krankenhaus
Köpenick eingeliefert wurde. Dort wurde er in einem Zimmer im
sechsten Stock un-tergebracht und von zwei Beamten bewacht.
Dagwasoundel versuchte, sich mit
verknotetem Bettzeug aus dem Fenster in das darunter liegende Stockwerk
abzuseilen
und stürzte in die Tiefe.
Zu Beginn des Jahres 2003 kam es zu einer beispiellosen Welle von
Selbstmordversuchen und Selbstverletzungen
der Menschen im Abschiebeknast Berlin-Köpenick, die ihre
Freilassung erreichen wollten.
Die Namen Kemal Altun, Kola Bankole, Rachid Sbaai und Altankhou
Dagwasoundel stehen für unzählige weniger bekannte
Flüchtlinge, die aus Angst vor ihrer Abschiebung
in die Verzweiflung getrieben wurden und werden. Aus Anlass dieser
Jahrestage wurde der
30.08.03 als Aktionstag der bundesweiten Vernetzung der
Abschiebehaftgruppen gewählt.
Beteiligt Euch alle am bundesweiten Aktionstag gegen Abschiebung und
Abschiebehaft! Nieder mit den Knästen! Keine Lager in der BRD!
Für das
Recht auf Migration weltweit und gegen ein Europa des Kapitals und der
Selektion von Menschen nach Verwertungsbedingungen!
12:00 bis 13:30 zwischen Zoologischer Garten und Breitscheidplatz -
Straßentheater, Antirassistisches Radio, Aktionen und mehr...
13:30 Breitscheidplatz Kundgebung gegen Abschiebung und Abschiebehaft
20:30 Abschiebeknast Grünau ? Filme gegen Abschiebung - unter
freiem Himmel mit leckerem Essen und solidarischen
Grußbotschaften an die Inhaftierten
Abschiebeknast: Berlin Köpenick, Grünauerstr. 140, bis S
Grünau und dann Tram 68 bis Rosenweg oder bis S Spindlersfeld,
dann Tram 60 bis Wasserwerk Friedrichshagen und dann Tram 68 bis
Rosenweg.
Es rufen auf: Antirassistische Initiative (ARI),Asta TU-Berlin,
Flüchtlingsinitiative Brandenburg, Gruppe »Frauen im
Exil«, Initiative gegen Abschiebehaft, Initiative gegen das
Chipkartensystem, Komitee zur Unterstützung
der politischen Gefangenen im Iran / Berlin, Naturfreundejugend Berlin
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