Hausbesetzer in Zürich


Dieses Interview wurde uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt, es wurde im April 1998 auf Tonband aufgezeichnet. Eigentlich sollte es in der jungle world erscheinen.
In den letzten vier Wochen wurden in Zürich drei Häuser neubesetzt.

Die Kasernenstraße 77, die Waffenplatzstraße 6 und die Konradstraße 21. Mit diesen Neubesetzungen gibt es mittlerweile 9 besetzte Häuser in der homöopathischen Großstadt Zürich mit 360.000 Einwohnern. In den nächsten Wochen gibt es vermutlich weitere Neubesetzungen.

Jedoch sind auch die "Züri brennt" -Zeiten vorbei. Nach der Räumung des Wohlgrothgeländes Ende 1994 ist es um Zürich eher ruhig geworden.

Grund genug, um zu Fragen was in Zürich eigentlich anders läuft als z.B. in Berlin.


Frage: Wie hat sich Zürich nach der Räumung der Wohlgroth verändert?

Uli: Es gibt noch vielleicht drei Leute, die in der Wohlgroth schon gewohnt haben und jetzt noch am besetzen sind. Die Allermeisten haben sich dann zurückgezogen. Es ist ja auch mittlerweile vier Jahre her. Die Leute kommen in den Häusern halt auch nicht weiter, wenn so ein Haus immer nach nem Jahr wieder geräumt wird - Was soll denn das? Eine Art Beschäftigungstherapie, staatlich verordnet? So sind die Leute auch nur ein paar Jahre in der Besetzerszene. Im Moment geht's nur noch ums Wohnen. Zumindest zu 90 %.

Frage: Wie alt sind die Leute die Häuser besetzten ?

Linda:: Bei uns an der Weststrasse sind die Leute auch schon älter. Vieleicht so 22 im Durchschnitt. Vielleicht sogar 23.

Uli: Viele Leute über 25, oder Leute die 5 oder 7 Jahre besetzt haben, steigen irgendwann aus. Es gibt in Zürich kaum, das du ein Haus länger als zwei Jahre halten kannst. Die meisten Häuser haben wir vielleicht so ein Jahr.

Frage: Und die Häuser werden auch immer als ganze Häuser besetzt?

Michi:: Naja, es gibt in Zürich nur immer ganze Häuser die besetzt werden, keine Stockwerke oder Wohnungen. In Genf gibt es das aber ganz massiv im Moment.

Uli: '89 war ne ziehmlich starke Wohnungsnotbewegung in Zürich, das dauerte ein Jahr und dann gab's jede Woche Demonstrationen gegen die Wohnungsnot. Die bürgerlich rechte Regierung hat keine Besetzungen toleriert und die Szene damals war eher politisch. Sie hat sich zumindestens politischer geäussert, als die Leute heute. Es ging darum, Grossprojekte zu verhindern, alte Häuser oder ganze Häuserblöcke nicht dem Abbruch preiszugeben. Kurz gesagt: Um Stadtentwicklung. Mittlerweile ist sehr viel in den Quatieren in Arsch gegangen. Es gibt keine Proteste mehr gegen die Großprojekte, die werden einfach nur noch durchgezogen.

Frage: Was macht denn ein Haus nach aussen? Schreibt ihr Flugblätter?

Michi:: Zum Flugbläter schreiben sind wir noch nicht gekommen. Aber nen Transpi haben wir rausgehängt - ist ja logisch!

Uli: Naja, logisch ist das nicht, es gibt auch ein paar stille Besetzungen in Zürich.

Frage: Wie ist denn der Kontakt unter den Häusern?

Linda:: Ja, es sind halt mehr so persönliche Kontakte. Jeder hat halt seine persönlichen Bezüge. Häusertreffen oder Häuserinfos gibt es nicht.

Uli: Also, es gab früher stärker solche Strukturen. Überregionale Häusertreffen oder auch Aktionen. Aber mittlerweile, wenn hier in Zürich ein Haus besetzt wird, dann kannst du froh sein, wenn überhaupt das Megaphon informiert wird. Das Megaphon aus der Reithalle Bern ist eigentlich füer die Nordschweiz das deutschprachige Blatt, das irgendwie noch regelmässig, monatlich rauskommt - Also über die Neubesetzungen hier habe ich im Megaphon noch nichts gelesen. Wenn in Bern was passiert, dann wird da informiert, denn in Bern haben sie auch noch einen anderen Druck, als wenn es hier eine Besetzung gibt. In anderen Städten können die Leute nicht einfach so still einziehen, wie hier in Zürich. Oder sie wollen das auch nicht.

Linda:: Es gibt jetzt einfach weniger Leute. Vor ein paar Jahren, da da gabs ne Wohlgroth mit 7 Wohnhäusern und drumrum auch noch 10 Häuser. Insgesamt gabs etwa 20 Häuser und wieviel sind es jetzt - vier oder so. Zwischenzeitlich gab es dann nur noch zwei Häuser.

Frage: Sieht es im Moment so aus, als würde sich die Situation verändern, weil in den letzen vier Wochen sind ja immerhin drei Häuser besetzt worden?

Uli: Naja, es wären ja auch schon früher mehr Häuser besetzt worden, aber die Situation hier in Zürich ist die, daß es hier kaum Leerstand gibt. Ein Grund ist die Städtische Jugendwohnhilfe - ein städtischer Verein, der nach den 80er Jugendunruhen gegründet wurde und zwar explizit, um Hausbesetzungen zu verhindern. Die jungen Leute sollen nicht besetzen, sie sollen über den Verein, der ihnen diesen leeren Wohnraum vermittelt, legal wohnen. Der Hausbesitzer kann seine Bruchbude also noch bis zum Abbruch weiter vermieten und hier in Zürich sind es vielleicht locker über 100 Häuser, die aus diesem Grund nicht leerstehen. Es gab echt Gruppen, die wollten besetzen und die haben nichts gefunden hier in der Innenstadt.. und jetzt gibt es wieder leere Häuser, und dann wird natürlich auch schnell wieder besetzt und zum Teil Häuser, wo du nicht die Hälfte bewohnen kannst, weil du nicht genügend Leute bist. Und es sind meist Abbruchhäuser die nicht mehr wieder vermietbar sind, dort lassen sie dich dann auch drin bis dann wirklich abgebrochen wird.

Frage: Wie reagieren Polizei und Behörden auf Besetzungen?

Linda:: Mittlerweile ist es häufig so: Die Bullen reiten ins Haus ein, nicht etwa um zu Räumen, sondern um eine Personenkontrolle durchzufühern, da werden die Namen aufgeschrieben und es gibt dann auch Verfahren, Prozesse und so, wo du dann eine Buße zahlst wegen Hausfridensbruch und unter Umständen bei Wiederholung auch noch Knast bekommst. Andrerseits kann trotzdem noch ein Vertrag zustande kommen. Also, wir an der Weststraße haben jetzt einen Gebrauchsleihvertrag, zahlen jetzt Strom und Wasser.

Uli: Hier in Zürich haben sie das sogenannte Genfer Modell. Es standen in Genf massiv viele Häuser leer und es gab auch eine ziemlich krasse Wohnungsnot in Genf. Sie haben halt irgendwann gesagt: wir räumen keine Häuser mehr, solange so viel nur aus Spekulationsgründen leersteht. Und da wurde eine Praxis eingefühert, die besagt, daß wenn ein Haus besetzt wird, dann wird es erst dann geräumt, wenn klar ist, daß der Umbau beginnt, daß neuvermietet oder abgebrochen wird. Mittlerweile gibt es in Genf über 100 Häuser die besetzt wurden und mittlerweile legalisiert sind. Es hat so an die 2000 Besetzer in Genf In Zürich ist das mittlerweile auch die gängige Praxis. Der Rot-Grünen Regierungsmehrheit die seit 1990 an der Regierung ist, ging es natürlich darum, hier die Szene zu befrieden - Ok, Räumungspraxis ändern, nachher konnte besetzt werden. Und in der kürzesten Zeit wurde dann auch ein dutzend Häuser besetzt. Dann war aber auch wieder Ruhe auf der Strasse, die Leute waren anderweitig beschäftigt.

Frage: Wie laufen denn die Räumungen ab?

Uli: Vorraussetzung für eine Räumung ist, daß ein Strafantrag vom Hausbesitzer gestellt wird - Meistens wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung, ohne das können die Bullen eigentlich nicht Räumen.

Linda:: Die Bullen kommen meistens morgens; bis jetzt gab es erst einmal, daß die Leute keine Zeit mehr hatten, ihren persölichen Kram auch noch rauszutragen. Bei der städtischen Liegenschaft, dem Taro, haben die Bauarbeiter alle persönlichen Sachen aus dem Fenster in Container geschmisen. Aber das Taro war für die Stadt auch irgendwie sowas wie die Hausbesetzerzentrale nach der Wohlgroth. Oder es wurde vielmehr als sowas in den Medien aufgebaut, obwohl da nur noch irgendwelche Freaks wohnten.

Michi:: Ob es ein Ultimatum gibt oder nicht, das hängt halt viel vom Besitzer ab. Meistens erfahren die Besetzter durch die Besitzer wann geräumt wird. Häufig legen die Bullen den Besitzern nahe einen Strafantrag zu stellen.

Linda:: Viele Besetzer hier sind schon sehr bemüht Ihre Gesprächsbereitschaft dem Besitzer zu zeigen, weil die melden dann auch: Naja, jetzt ist mal langsam fertig mit lustig. Ihr muesst dann und dann raus. Allerdings gibt es auch Besitzer die überhaupt keinen Kontakt wollen, das ist halt blöd, du bist dann immer im Ungewissen -- Natürlich gibt es auch ein paar politische Leute , die halt finden: ein besetztes Haus ist ein befreites Haus.

Frage: Und wie geht das weiter in den nächsten Jahren?

Linda:: Naja, mittlerweile gibt es endlich wieder ein paar Häuser die leer sind, das ist schon mal cool. Es hat nicht so viele Leute, aber es ist auch geil, sobald es wieder Platz und Raum hat, können vier Leute ein ganzes Haus besetzen und es hat dann auch immer Leute die nachkommen.

Uli: Also ich denke, es ist bald vorbei mit Besetzen. Hier in der City gibt es immer weniger Areale die Abruchreif sind, die City ist clean, neubebaut oder irgendwie renoviert.

Michi:: Aber für viele wäre die Möglichkeit schon da. Es gibt die Kaserne oder die Konradstrasse oder auch was anderes das hier im Zentrum ist, es hat eigentlich genug Platz im Moment. Wenn Leute schon Bock hätten was zu machen, dann könnten sie schon!

Frage: Danke für das Interview.

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Hier noch eine lange Version des Interviews..


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